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Test - This War of Mine : Gewissenskrieg

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„Krieg ist böse. Krieg bringt nur Unheil. Krieg ist die Hölle auf Erden.“ Schon im Kindesalter klärt man uns über das Grauen der bewaffneten Auseinandersetzung auf – und dennoch habe ich mich erschreckenderweise nie richtig dafür interessiert. Natürlich ist der Bürgerkrieg in Syrien eine Tragödie und der Krieg in der Ostukraine ein politischer Skandal. Und wenn die nächste Gaza-Eilmeldung von Spiegel Online über mein Smartphone-Display flimmert, bin ich selbstverständlich aufgebracht und besorgt ... zumindest für wenige Sekunden. Bis ich merke, dass mir ein solches Schicksal wahrscheinlich erspart bleibt, und ich mich anschließend wieder in meiner Angry-Birds-Partie verliere. Mit This War of Mine hat sich meine Denkweise über den Krieg verändert – auch wenn dafür ein anderer begonnen wurde: Der Krieg mit meinem Gewissen.

This War of Mine ist das erste Spiel, das ich aufgrund der bedrückenden und nervenzehrenden Stimmung vorzeitig beenden musste. Insgesamt sieben sehr anstrengende Stunden habe ich mit dem Titel verbracht. Ob ich während dieser Zeit Spaß empfunden habe? Eigentlich nicht. Das war aber auch gar nicht die Intention der polnischen Entwickler von 11 Bit Studios. Als Kotaku-Autor Stephen Totilo den Creative Director des Kriegsspiels, Pawel Miechowski, fragte, ob er sich Sorgen darüber mache, dass beim Spielen eventuell gar kein Spaß aufkomme, antwortete der Entwickler kurz und prägnant: „Nein. Absolut nicht. [Spaß] tut nichts zur Sache. [This War of Mine] ist eine Erfahrung.“

Eine Erfahrung, die sich als äußerst schwierig und intensiv erweist. In This War of Mine herrscht Krieg – als Spieler nehmt ihr jedoch nicht die Rolle von Elitesoldaten ein, sondern von einfachen Zivilisten. Durch diese Ausgangslage verändern sich die Prioritäten. Statt nach neuen und tollen Waffen Ausschau zu halten, versucht ihr einen Fetzen rohes Fleisch zu beschaffen, um das Überleben für einen weiteren Tag zu sichern. Wie ihr das Stück Fleisch bekommt, wird mit zunehmender Spieldauer unwichtiger. In das Haus eines alten Ehepaares einbrechen und wichtige Vorräte stehlen? Ist das okay? Diese Frage stellt sich nach wenigen Stunden nicht mehr. Es ist der Krieg, der das Fleisch stiehlt, nicht ich. Und dennoch verfolgt mich mein Gewissen mit jeder Tat.

Auf SilverDoctors.com erschien am 13. Mai 2013 ein Text mit dem Titel „One Year in Hell“. In diesem Artikel beschreibt der Autor seine Erfahrungen während des Bosnienkriegs und gibt gleichzeitig wichtige Tipps, die beim Ausbruch eines solchen „Mad-Max“-Szenarios weiterhelfen. Gleich zu Beginn rät der Verfasser dazu, den Schutz der Nacht zu suchen, sollte man seinen Unterschlupf verlassen und nach draußen gehen wollen. Dieses Konzepts bedient sich auch This War of Mine. Das Spiel ist in Tag- und Nachtsektionen unterteilt. Während ihr tagsüber zuseht, dass eure Gruppe genügend isst, schläft und baut, gilt es nachts, in die Nachbarschaft zu gehen und neue Gebrauchs- und Verbrauchsgüter zu besorgen.

Mit jeder Nacht eröffnen sich neue Gebiete, sodass ihr euch stellenweise in verlassenen Schulen, zerstörten Gebäuden oder abgeschiedenen Fabrikhäusern wiederfindet. An jenen Orten verbergen sich oftmals wichtige Güter wie Holz, Einzelteile, Medikamente oder Konservendosen mit essbarem Inhalt. Diese Güter sind für das Überleben eurer Gruppe essenziell. Mit Holz ist es möglich, Betten zu bauen, die als Ruheort dienen und neue Kraft spenden. Mit Einzelteilen baut ihr wichtige Werkzeuge und Geräte. Ein Radio hilft euch, über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden zu bleiben, während eine Waffe in Notsituationen Gold wert ist. Solche Notsituationen treten meist auf, wenn ihr auf andere Menschen trefft. Denn auch in This War of Mine gilt: Der Mensch ist dein größter Feind.

„Bei einer großen Familie denke ich nicht an die zusätzlichen Münder, die versorgt werden müssen. Große Familien bedeuteten mehr Waffen und noch mehr Stärke [...]“ In „One Year in Hell“ ist der Tenor klar: Je größer, desto stärker. Das ergibt durchaus Sinn, auch wenn das in This War of Mine zu Problemen führt. Wächst eure Gruppe an, können noch mehr Aufgaben verteilt und Ruhepausen noch großzügiger anberaumt werden. Das wirkt sich auf das Wohlbefinden der einzelnen Charaktere aus, was wiederum eure Überlebenschancen steigert. Je mehr Menschen aber euren Unterschlupf bewohnen, desto größer wird die Bedarfsliste.

Ihr braucht noch mehr Essen, noch mehr Medikamente und noch mehr Betten, um alle den Umständen entsprechend zu versorgen. Irgendwann müsst ihr abwägen – nehmt ihr eine weitere Person auf oder lasst ihr das Schicksal über ihre Zukunft entscheiden? Und wie verhält es sich mit Kindern? Sie sind im Grunde keine große Hilfe, aber könnt ihr das mit eurem Gewissen vereinbaren? Könnt ihr ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen? Das sind Entscheidungen, die mich stellenweise so stark herunterzogen, dass ich zwischen zwei Spieleinheiten mehrere Stunden pausieren musste.

Nach sieben Stunden war This War of Mine für mich beendet. Nicht, weil meine Gruppe gestorben ist oder keine Vorräte mehr vorhanden waren. Ich habe die melancholische und bedrückende Atmosphäre nicht mehr ausgehalten. Nein, das Spiel macht keinen Spaß – es macht aber etwas viel Wichtigeres: Es regt zum Nachdenken an. Die Nachricht ist wie in One Year in Hell“ klar - Krieg ist böse. Krieg bringt nur Unheil. Krieg ist die Hölle auf Erden. Kein Wunder, dass der Artikel als Hauptinspiration für das Spiel von 11 Bit Studios diente.

Was bedeuten Titel wie This War of Mine für das Medium Videospiel? John Keyser, ehemaliger Sanitäter während des Kriegs in Fallujah, hat seine Erfahrungen mit den Entwicklern geteilt und stand dem Team als Tester und Blog-Autor zur Verfügung. Im Gespräch mit den Kollegen von Killscreen erklärte Keyser, dass sich Diskussionen rund um das Thema Krieg in Videospielen mit This War of Mine verändern können. „Das Gespräch muss sich nicht darum drehen, dass Call of Duty mies oder Battlefield nicht realistisch ist. Mit This War of Mine kann das Gespräch in eine andere Richtung gehen: Krieg ist eigentlich nicht lustig, er ist hart“.

Wer ist das Arschloch? Der Krieg oder ich? Eine Frage, die ich mir bei der nächsten Spiegel-Online-Eilmeldung vermutlich stellen werden – zumindest für wenige Sekunden. Bis ich mich wieder in meiner Angry-Birds-Partie verliere.

Fazit

Ilyass Alaoui - Portraitvon Ilyass Alaoui
Das bedrückendste und vielleicht wichtigste Spiel des Jahres

Ist This War of Mine überhaupt ein Spiel? Ja, auch wenn es die eigentlichen Erwartungen nicht erfüllt, die wir von herkömmlichen Titeln gewohnt sind. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass This War of Mine mehr als nur ein Spiel ist: Es ist eine schmerzhafte und unangenehm akkurate Bestandsaufnahme. Es wird euch keinen Spaß machen, sondern euch emotional extrem viel abverlangen. Dadurch hebelt das Werk von 11 Bit Studios die Regeln herkömmlicher Spiele aus. In Papo & Yo lag der Fokus auf einer emotionalen Geschichte – allerdings hielten sich die spielerischen Elemente und die Story hier die Waage. This War of Mine zeichnet sich jedoch so sehr durch seine emotionale Zugkraft aus, dass ich dem Titel keine Wertung geben möchte. Jeder reagiert anders auf die einzelnen Bilder und Situationen. Emotionen objektiv bewerten kann ich nicht. Was ich jedoch kann, ist euch das Spiel trotz seiner bedrückenden und schwierigen Thematik uneingeschränkt zu empfehlen. Hier wird etwas anderes und Neues geboten, das ihr in Form von Videospielen nur selten zu sehen bekommt. Und das sollte man belohnen.

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This War of Mine
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